Neutrino-Teleskope

Mit Neutrino-Teleskopen wird das Universum nach Neutrinos abgesucht.

Endstation Erde Neutrinos sausen Millionen von Lichtjahre durch das Weltall, durch jeden Stern, der sich ihnen in den Weg stellt – und ausgerechnet hier auf der Erde sollen sie sich mit einem Teleskop einfangen lassen? Klingt unmöglich. Funktioniert dennoch: Genauso wie man mit einer Gabel auch Suppe essen kann: ein bisschen bleibt immer an den Zinken. Einige Neutrinos bleiben nämlich auch in der Erde hängen. In einer selten vorkommenden Reaktion im Erdinneren kann ein Neutrino ein anderes Elementarteilchen erzeugen, ein Myon. Es fliegt in dieselbe Richtung wie das Neutrino. Wer also die Herkunft des Neutrinos ergründen möchte, kann stattdessen die Flugbahn des Myons messen. Und das geht, weil sich das Teilchen schneller als das Licht bewegt.

Überlichtblitz Ist nicht nichts schneller als das Licht? Von wegen! Das gilt nur im Vakuum, dem leeren Raum. In Wasser, Glas oder anderen Medien können Elektron, Myon & Co. das Licht auch schon mal hinter sich lassen, weil es sich dort langsamer ausbreitet als im Vakuum. Dabei ähneln sie einem Düsenjäger. Wenn dieser schneller als der Schall fliegt, dann gibt’s einen Knall zu hören, den Überschallknall. Fliegt das Myon mit Überlichtgeschwindigkeit durchs Wasser, dann gibt es keinen Knall, sondern einen Blitz, einen Überlichtblitz. Diese Strahlung trägt den Namen Tscherenkow-Strahlung. Um sie handelt es sich auch beim blauen Licht, in welchem Kernreaktoren schimmern. Das Myon, das bei einer Neutrino-Reaktion entsteht, saust schneller als das Licht durchs Eis und zieht einen Tscherenkow-Lichtkegel hinter sich her. Er ist es, wonach die Neutrino-Teleskope Ausschau halten.

Kugellager unter Wasser Die geplanten und im Bau befindlichen Neutrino-Teleskope unterscheiden sich deutlich von Fernrohren oder Radioteleskopen. Die auffälligste Besonderheit ist, dass sie nicht auf dem Erdboden stehen, sondern tief im Wasser oder gar im antarktischen Eis versenkt werden. Dort ist es dunkel genug, dass lediglich die Tscherenkow-Strahlung der Myonen registriert wird. Kern des Neutrino-Teleskops sind Detektorkugeln, sie sollen die Überlichtblitze wahrnehmen. Diese Kugeln werden in mehreren langen Ketten unter Wasser oder im Eis angebracht. Durch die dreidimensionale Anordnung der Detektoren ist es möglich, die Herkunft des Neutrinos zu rekonstruieren: Aus dem Vergleich der Ankunftszeiten eines Lichtblitzes bei den Sensoren kann die Lage des Tscherenkow-Lichtkegels berechnet werden. Daraus ergibt sich die Flugbahn des Myons und somit die des Neutrinos. In den 25 bis 40 Zentimeter großen, druckfesten Glaskugeln befinden sich empfindliche Lichtsensoren, sogenannte Photovervielfacher. In ihnen lösen die schwachen Tscherenkow-Lichtblitze einen Schauer von Elektronen aus. Dieses elektrische Signal wird gemessen und gibt Aufschluss über die Stärke des Blitzes und damit über die Entfernung zur Myonenstrecke. Nur Neutrinos, die aus dem Weltall kommen, sind für die Forscher von Interesse, Teilchen aus der Erdatmosphäre oberhalb des Detektors stören da nur. Deshalb werden nur Myonen berücksichtigt, die von unten kommen. Dazu ist die obere Hälfte der Detektorkugeln mit einer lichtundurchlässigen Farbe bestrichen. Die Glasaugen schauen also nur ins Innere der Erde und benutzen diese gewissermaßen als mächtigen Teilchenfilter.

Was möchte man mit Neutrino-Teleskopen erforschen? Was man mit Fernrohr, Röntgen- und Radioteleskopen am Himmel sehen kann, ist noch lange nicht alles. Von Neutrino-Teleskopen wird erwartet, dass sie der Kosmologie neue Impulse geben. Zum Beispiel bei der Suche nach WIMPs („Weak Interacting Massive Particle“). Diese massereichen, aber schwach wechselwirkenden Teilchen sind ganz heiße Kandidaten für die „dunkle Materie“. Das ist Materie, die die Astronomen bislang noch nicht entdeckt haben, weil sie keine Strahlung abgibt. Aus der Bewegung der Galaxien schließen die Astrophysiker aber auf ihre Existenz. WIMPs, so vermutet man, hocken im Innern von Sternen oder im Zentrum der Erde und geben Neutrinos einer bestimmten Energie ab. Auch Urknall-Exoten wie magnetische Monopole, Relikte aus der Entstehung unseres Universums, könnten sich durch besonders energiereiche Neutrinos verraten. Wie die Kosmologie könnten auch Astro- und Teilchenphysik von den Ergebnissen der Neutrino-Teleskope profitieren. Mögliche Anwendungsgebiete sind: der Nachweis von Neutrinos aus Supernovae in unserer Galaxis und ein besseres Verständnis von „Gamma Ray Bursts“, gigantischen Strahlenexplosionen in den Zentren von Galaxien. Auch der Effekt der so genannten Neutrino-Oszillation könnte untersucht werden, ein wichtiger Hinweis auf die Masse der Teilchen. Die Vermessung des Spektrums atmosphärischer Neutrinos und die Bestimmung der chemischen Zusammensetzung der kosmischen Strahlung würden auch diesem Zweig der Teilchenphysik neue Impulse geben


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